Band: Kollektiv Turmstrasse
Album: Rebellion der Träumer
Mitglieder: Christian Hilscher, Nico Plagemann
Herkunft: Echte Lübecker Männer-WG
Klingt wie: Eine große melodiöse Umarmung. Wie ein phantasievoller Traum, an den man sich vielleicht nicht vollständig erinnern kann, der aber eine bleibende Erinnerung hinterlässt.
Samstagabend. Ein verruchter und verrauchter Club in Ostberlin. 4 Uhr morgens und immer noch eine Schlange wie bei Mediamarktneueröffnungen. Nur anderes Publikum, von Technotouristen über die Berliner Szene hinzu Alteingetanzten. Oberflächlich. Auf der Tanzfläche treibende 4/4 Beats, ein knallender und mobilisierender Bass und drüber und drunter alledem sphärische Melodien. Die Feiernden sind gutgelaunt, zeigen dies aber vor allem durch Stehtanz und vereinzelte Gruppendynamik. Bei den Basseinsätzen reckt sich der eine oder andere Discofinger nach oben. Ein Auftritt von Kollektiv Turmstrasse vor zwei oder mehr Jahren. Höhepunkte sind Tracks wie Grillen im Park oder Leuchtoorn, treibende Minimal/House Tracks. Für Freundschaftliche Zwischengefühle sorgt ihr gerne gespielter Remix von Hot Chips Touch too much.
Wer von Rebellion der Träumer, dem am 15.12.2010 erscheinenden Werk der beiden seit 1999 gemeinsam aktiven Produzenten und DJs, eine Ansammlung von Technobrettern und potentiellen Clubhits erwartet, wird getäuscht. Bewusst nicht enttäuscht, denn das zehn Tracks und 9 Zwischenspiele enthaltende Debutalbum ist eine wahre Reise durch das Land der Träume. Die Beats sind geprägt von Dub-und Breakbeateinflüssen, sind größtenteils aber immer noch tanzbar. Nur eben anders tanzbar.
Das Album wird von dem sehr melodischen und atmosphärischen Track Affekt eröffnet, der den Hörer in die Welt des Übersinnlichen einlädt und die Linie des Albums vorgibt. Auf diesen ersten Traum folgt dann Dazwischen 1, das erste der melodischen Zwischenspiele, die die Tracks miteinander verbinden. Diese sehr ruhigen und kaum länger als eine Minute dauernden Soundschnipsel bringen das Album immer wieder weg von Bass und Beats und unterstreichen die Anlehnung an einen großen Traum. Sie regen die Phantasie des Träumenden an und steigern die Vorfreude auf den nächsten Traum. Nach Sph re, ein die Dramaturgie steigerndes Werk, folgt Kontakt. Hier tauchen zum ersten Mal die für Kollektiv Turmstrasse eher untypischen Vocals auf, die sich durch das gesamte Album ziehen und eine weitere Entwicklung der beiden Wahlhamburger kennzeichnen. Zu Kontakt gibt es ein wunderschönes Video auf der eigens für die mit dem Album entstandenen Videoprojekte eingerichteten Website www.rebellion-der-traeumer.de zu bestaunen.
Ein musikalischer Höhepunkt ist der fünfte Track Deine Distanz. Dieser fasst die Veränderung von Christian Hilscher und Nico Plagemann sehr gut zusammen. Die wunderschöne Textzeile „Love holds for you one guarantee, you will always have me” offenbart, das dieses Album nicht nur eine Rebellion für Träumer, sondern auch für Paartanzakrobaten und Tanzflächenemotionen sein kann und will. Zwei weitere hervorzuhebende Stücke sind Schwindelig sowie Heimat. Auch bei diesen beiden wünscht sich der Träumende mit seinem Partner auf die Tanzfläche, die Vocals, Melodien und exotischen Geräusche – bei Heimat sind Möwen, das Knarren von Booten und Hafenatmosphäre zu spüren – erzeugen eine kollektive Privatsphäre.
Der letzte, auf Wiederhören sagende Track Addio Addio ist der schnellste und lauteste Track des Albums. Der Träumende ist aufgewacht und gibt sich seinem leicht monotonen, treibenden Alltag hin. Aber doch ist eine Veränderung zu spüren: Der Traum hat Spuren hinterlassen, Melodieschnipsel und musikalische Abwechslungen ziehen sich durch den Tag und zeugen von einer Vorfreude auf den nächsten Traum, die nächste Rebellion.
Rebellion der Träumer ist also ein verschmustes, atmosphärisches Album, das sich deutlich von den früheren Werken von Kollektiv Turmstrasse abhebt. „Wir haben sehr viel Liebe, Zeit und Leidenschaft in das Album einfließen lassen, es soll das Herz und den Kopf erreichen und Dich mitnehmen auf eine musikalische Reise“, sagen die beiden selbst. Für Freunde der früheren Technoknaller wirkt das Album beim ersten Zuhören vielleicht wie Kuschelrock für einen Sex Pistols Fan. Der Vergleich hinkt aber, denn die Qualität des Albums steht im Gegensatz bei so manchem Kuschelrock außer Frage. Die exotischen Sounds gönnen den Getriebenen eine Verschnaufpause auf einer basslastigen Tanzfläche und wecken den Träumer in so ziemlich jedem von uns.
Wort und Text: Ferdinand Sehrndt
Anspieltipps:
- Kontakt
- Deine Distanz
- Schwindelig
- Heimat
- Addio Addio
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