Seit fast einer Woche sind die Ausschreitungen in Chemnitz ein Dauerthema in den Medien. Dabei finden die einzelnen Medien für die Geschehnisse ganz unterschiedliche Beschreibungen.
Unser Redakteur Bernd hat dies an einem konkreten Beispiel kommentiert - aber lest und hört selbst:
Kommentar:
Schon am Dienstag äußerte sich der Chefradakteur der Freien Presse, Thorsten Kleditzsch bei Deutschlandfunk Kultur[1] und sprach über die Ereignisse der vorangegangenen Tage und die Berichterstattung darüber.
Das Demonstrationsgeschehen am Montagabend beschrieb Kleditzsch als ein Rechts auf der einen und Links auf der anderen Seite, bei dem die Mitte der Gesellschaft nicht zu sehen war.
Ich frage mich wirklich, wie Herr Kleditzsch zu dieser Einschätzung kommt.
Natürlich, der Gegenprotest war aus dem linken Lager heraus angestoßen worden, doch waren am Ende Menschen aller Altersgruppen und Bevölkerungsschichten im Stadthallenpark, um zu zeigen, dass sie die Instrumentalisierung einer schrecklichen Straftat für rechte Hetze nicht hinnehmen wollen.
Aber auch auf der Seite der Rechten war nicht nur der Klischee-Nazi mit Glatze, Bomberjacke und Springerstiefeln zu sehen. Auch dort fanden sich Menschen aus allen möglichen gesellschaftlichen Schichten und brüllten "Ausländer raus!".
Natürlich gibt es viele Menschen, die sich bisher weder für die eine noch die andere Seite positioniert haben, aber zu behaupten, die so genannte bürgerliche Mitte der Gesellschaft wäre nicht da gewesen, ist schlichtweg falsch. In Sachsen laufen mittlerweile große Teile eben dieser bürgerlichen Mitte kritiklos auf rechten Demonstrationen mit und machen sich den dort auf die Straße getragenen Hass zu Eigen – und genau das ist unser Problem in Sachsen.
Rechtes Gedankengut ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen, weil die Politik, genau wie auch Herr Kleditzsch mit seinen Äußerungen im Deutschlandfunk, es seit Jahren verharmlost und jedweden Widerspruch gegen rechte Demonstrationen in die linksextreme Ecke stellt.
Im weiteren Gesprächsverlauf mit Deutschlandfunk Kultur verharmloste Kleditzsch die erschütternden Gewaltausbrüche, die sich am Sonntag und Montagabend in der Innenstadt abspielten, wie folgt:
"Es gab Angriffe aus der Demonstration, einzelne Angriffe auf Migranten, auf Polizisten und auf Linke auch. Das waren aber sehr vereinzelte Fälle aus dieser Demonstration heraus und das hatte mit einer Hetzjagd, mit dem wörtlichen Sinne, nichts zu tun".
Später bekräftigte auch die Freie Presse diese Äußerungen ihres Chefredakteurs[2] und wurde dafür in der rechtspopulistischen Jungen Freiheit[3] zitiert.
Mit Verlaub, ich frage mich wirklich, was Herr Kleditzsch braucht, damit er aufhört, die Gewalt herunter zu spielen. Müssen Migranten und Linke von Nazis erst quer durch die Stadt gejagt oder gar totgeschlagen werden, damit es die Freie Presse als Hetzjagd anerkennt? Die Relativierung und das Herunterspielen der Gewalt der vergangenen Tage müssen aufhören! Stattdessen muss deutlich gesagt werden, was passiert ist: Nazis haben Menschen gejagt, die ihrer Meinung nach nicht Deutsch genug aussehen oder denken – über welche Distanz, ist dabei völlig unerheblich!
Und eines noch: Wenn Politik und Medien beklagen, dass zu wenige Menschen aus der bürgerlichen Mitte den Rechten wiedersprechen, wäre es vielleicht ein Anfang, genau diesen Widerspruch nicht mehr als politisch links oder gar linksextrem zu kennzeichnen, sondern als das, was er ist: ein selbstverständlicher Ausdruck von Menschlichkeit.