Lambert ist alt geworden, und er hat seinen Beruf schon vor langer Zeit verlassen. Dabei ließ er sowohl sein Studio, als auch seinen Kollegen und den gesamten Stadtteil hinter sich. Die Erinnerungen aber, die sind immer bei ihm. Früher hat er als Geräuschemacher für den Film gearbeitet, immer im Hintergrund, mit unendlich vielen Ideen, um die Geräusche zu erzeugen, die den Bildern auf der Leinwand „Echtheit“ verleihen. Das hatte immer auch etwas Besonderes, etwas Geheimnisvolles an sich, wie er zum Beispiel aus Styroporplatten brechendes Eis gemacht hat, und ganze Klanglandschaften entstehen ließ. Als er letzten Endes das Studio verließ, ließ er auch seinen langjährigen Partner zurück. Aus den vielen Wegen, die seine Erinnerungen bilden und in denen er heute lebt, begibt er sich nun mit beginnender Schwerhörigkeit auf den langen Weg zurück – zum alten Studio, auf die Suche nach seinem früheren Partner, nach Antworten. Auch hier wird er natürlich von Erinnerungen begleitet. Lambert betritt dabei Wege, die nicht nur seine eigene Vergangenheit zeigen, sondern auch das, was an diesem Ort früher einmal war, und was die Zeit inzwischen daraus gemacht hat.
Der Roman ist sprachlich wunderschön und kunstfertig, voller Bilder und Assoziationen. Millesi baut eine ganz besondere Atmosphäre auf und seine teilweise geradezu poetische Wortwahl macht aus der Geschichte ein Gesamtkunstwerk über Verfall und Erinnerung. Ganz langsam entfaltet sich Entfalten die Geschichte Lamberts, des Einzelgängers, des Spezialisten, des „komischen Kauzes“. Darüber hinaus sind die Einblicke in das Geräuschemachen alter Schule einfach faszinierend.
Mir hat es so gut gefallen, dass ich es für das Literarische Quintett an der Uni vorschlagen werde.
Wer ein bisschen sprachverliebt ist, wird sich sicher wohl fühlen mit dieser nur 180 Seiten langen traurigen, aber auch komischen und berührenden Geschichte.
„Der Charme der langen Wege“ von Hanno Millesi erschien am 26. Juli 2021 bei Edition Atelier.