Diese beiden Sätze und das, was sie für die deutsche Lebensrealität auch im Jahr 2022 bedeuten, machen den Grundtenor des Buches aus, um das es heute geht: „Femizide. Frauenmorde in Deutschland“ von Julia Cruschwitz und Carolin Haentjes widmet sich dem viel diskutierten Begriff und dessen Hintergrund, nämlich dem, dass das Motiv von Frauenmorden sehr häufig in einer patriarchalen Gesellschaftsstruktur verankert liegt: Sie werden ermordet, weil sie Frauen sind.
Die Autorinnen konzentrieren sich dabei auf die in Deutschland häufigste Form von Femiziden, die so genannte Trennungstötung:
„Tötungen, die vor, während und nach einer Trennung von Beziehungspartner:innen stattgefunden haben, vor allem aber wegen dieser Trennung.“ (S. 14)
Dabei stellen sie unter anderem das Acht-Phasen-Modell von Jane Monckton Smith vor, anhand dessen Risikobeziehungen rechtzeitig erkannt werden können, sodass Polizei und Sozialbehörden eingreifen können. Dieses Eingreifen erfordert aber noch etwas anderes: Zusammenarbeit, im Idealfall in einem so genannten Hochrisikomanagement, also einer Verknüpfung unterschiedlicher Akteure, die Warnzeichen erkennen und ggf. handeln können, bevor ein Mensch zu Schaden kommt.
Die Prävention von Femiziden ist hoch komplex und benötigt viele offene Augen und Ohren, die zudem auch geschult sein müssen, Warnzeichen auch zu erkennen und richtig zu deuten.
Sensibilisierung ist hier ein wichtiger Punkt, denn viel zu oft gelingt es manipulativen Tätern, eine Schuldumkehr bis hin zum Victim Blaming auch seitens Dritter zu erzielen. Und auch gesamtgesellschaftlich besteht dieses Problem: Oft genug wird Frauen gesagt „du hast ihn ja auch provoziert“ oder es wird gefragt „warum hast du dich denn nicht getrennt“, was den Frauen eine Mitschuld unterstellt und es Betroffenen schwer macht, Gehör zu finden und ernst genommen zu werden. Selbst in Gerichtsverfahren kommt diese gesellschaftliche Dynamik zum Tragen und oft schwingt die Frage mit „Hat sie es nicht irgendwie provoziert?“ oder Schlimmeres.
Im Buch gehen die Autorinnen u.a. den Fragen nach: Was ist ein Femizid? Warum dieser Begriff und nicht einfach „Mord“? Was können wir als Gesellschaft tun? Woran hapert es?
Die Autorinnen sprechen Themen an, die von Täterarbeit über Hilfsangebote für Betroffene, das erwähnte Hochrisikomanagement zur Verhinderung von Tötungsdelikten bis hin zu Traumatherapie für Überlebende, insbesondere Kinder, führen. Auch der Kinderschutz kommt besonders zur Sprache, denn ein großes Problemfeld ist das häufige Aushebeln des Gewaltschutzes durch das Umgangs- und Sorgerecht. Und auch institutioneller wie gesellschaftlich verankerter Rassismus in der Bestrafung der Täter kommt zur Sprache, ebenso wie irritierende Argumentationsmuster in der Rechtsprechung von bspw. Bundessozialgericht und Bundesgerichtshof.
Im Buch werden mehrere Fallbeispiele angeführt, um die Themen besser greifbar zu machen. Diese Beispiele sind wichtig, um auf die vielen Ebenen der Problematik hinzuweisen, und zugleich sind sie entsetzlich zu lesen, trotz der möglichst nüchternen Beschreibung.
Ich will nichts beschönigen: Das Buch ist hart, richtig hart. Die Fallbeispiele widmen sich nicht nur ermordeten Frauen, sondern auch Kindern, denn häufig ist das Ziel der Täter, die Frau zuvor noch mit dem Schlimmsten zu bestrafen, das möglich ist – dem Verlust ihrer Kinder.
„Femizide. Frauenmorde in Deutschland“ ist ein wichtiges Buch, aufrüttelnd und ausführlich recherchiert. Es ist ein Beitrag zu einer gesellschaftlichen Debatte, die noch lange nicht zu Ende geführt ist, und die weiterhin dringend großer öffentlicher Aufmerksamkeit bedarf. Damit wir irgendwann nicht mehr lesen müssen:
„Statistisch gesehen ist in Deutschland der gefährlichste Mensch im Leben einer Frau ihr Partner. Jeden dritten Tag stirbt hier eine Frau durch männliche Gewalt.“ (S. 15)
„Femizide. Frauenmorde in Deutschland“ von Julia Cruschwitz und Carolin Haentjes erschien am 25.11.2021, dem Welttag zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen, im Hirzel Verlag.