Wer noch die Songs von Devil Is Fine, Stranger Fruit oder dem selbstbenannten Album Zeal & Ardor im Ohr hatte, dürfte bei der ersten Single vom neuen Album Greif der Schweizer Kapelle Zeal & Ardor erstmal gründlich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt worden sein. To My Ilk war im ersten Moment gewöhnungsbedürftig, aber so eindringlich wie ein Song aus der Feder von Manuel Gagneux nur sein kann und schon beim Zweiten hören kam der bei Zeal & Ardor gewohnte Gänsehauteffekt. Single Nummer Zwei Clawing Out folgte dann schon eher den gewohnten Klangfarben und mit der dritten Single Fend You Off war dann die Vorfreude beim Maximum.
Nun hat das Sextett um Sänger und Mastermind Manuel Gagneux ihr viertes Studioalbum Greif am 23. August 2024 in die Läden gestellt und wieder vollkommen neue Wege beschritten. Nicht nur, dass diesmal alle Bandmitglieder beim Schaffensprozess eingebunden wurden, auch hat man den Anteil am Black Metal deutlich gesenkt. Dadurch kommen die Gospelelemente stärker in den Vordergrund und man hat sich den Raum geschaffen, weitere Stile einzuweben, ohne dass es der Musik schadet. Ganz im Gegenteil schaffen die Elemente aus Prog- oder Post-Rock ganz neue Facetten in den Songs, die allgemein wesentlich emotionaler und schwerfälliger sind, als man es bisher von Zeal & Ardor gewohnt war. Schon beim Intro, eine Anspielung auf den Albumtitel und der heraldischen Figur des Vogel Gryff von Kleinbastel, wird man durch die Basler Trommeln und kurze elektronische Soundschnippsel unbewusst auf einen etwas anderen Stil eingestimmt. Wobei Fend You Off dann doch wieder dafür sorgt, dass man sich musikalisch heimisch fühlt, bevor Kilonova mit seinem progressiven Sound langsam anfängt, diese gewohnte Welt umzukrempeln und die düsteren melodischen Saiten aufzuziehen. Wie schon bei To My Ilk, zeigen Zeal & Ardor auch bei Are You The Only One Now? musikalisches Einfühlungsvermögen und regen zum Innehalten an, was mit dem viel zu kurzen Call-and-Response-Song Go Home My Friend aufgegriffen, aber auch wieder etwas aufgelockert wird. So wird der stilistische Bruch zu Clawing Out nicht zu krass und das Album kann sich wieder den härteren rockigeren Sounds widmen. Natürlich mit wunderbaren Überraschungen in Form von Disease und Thrill, die ein wenig an die Grunch Zeiten der 90er erinnern. Oder dem kurzen elektronischen Zwischenspiel Une Ville Vide, was durchaus an die Handschrift von Jean-Michel Jarre erinnert. Mit Sugarcoat bedient man Freunde von trockenen progressiven Sounds genauso gut, wie Anhänger soliden Post Metals bei Solace.
Damit aber auch jene, die Zeal & Ardor erst mit ihrem selbstbenannten Album kennenlernten, abgeholt werden, gibt es zum Abschluss mit Hide In Shade noch einen klassischen Zeal & Ardor Kracher, bevor To My Ilk den Hörer nachdenklich und mit dem Verlangen nach mehr zurücklässt und man unweigerlich auf die Repeat-Taste drückt, weil man nach dem ersten Hören nur denkt: Was zum Greif war das? Denn ja, so wie der Greif als mächtiges Wesen ein Hybrid aus verschiedenen Tierkörpern ist, ist dieses Album ein Hybrid vieler Genres mit vielen Facetten, welche sich erst nach dem dritten oder vierten Hören so richtig offenbaren.
Anspieltips? Fangt beim ersten Song an und hört nicht beim 14. auf. Die 42 Minuten Albumlänge reichen schlicht nicht aus, um vorläufig genug zu haben.