Künstler: All the Luck in the World
Album: All the Luck in the World
Mitglieder: Neil Foot, Kelvin Barr, Ben Conolly
Herkunft: Wicklow/Kildare, Irland
Klingt wie: Die Begleitung für gefühlsduselige Stunden im Winter, wenn du dich an Silvester von mehr als dem zurückliegenden Jahr verabschiedet hast. Tiger Lou, Damien Rice
Der stumpfe Ton der Saiten beim fingerpicking. Das Rutschen beim Wechsel zwischen zwei Barré-Akkorden. Als jemand, der selbst Hornhaut auf den Fingerspitzen der linken Hand hat, gibt es über Kopfhörer kaum ein schöneres Nebengeräusch der Musik zu hören. Umso mehr habe ich mich bei den ersten Tönen von All the Luck in the World’s Indie-Folk gefreut. Auch wenn das ganze elektronische Zeug, was einem momentan um die Ohren gehauen wird, ja sehr viel Spaß macht und Energie generiert, z.B. auf der Tanzfläche oder beim Joggen - Ins Herz spielt man sich noch immer analog, mit einer Stimme und einer Gitarre. Sollte das Sechssaiteninstrument keine Fender Stratocaster sein, die man sie mit der Zunge spielt (auf gar keinen Fall was gegen Jimy!), ist diese Kombi nämlich schlichtweg das Aufrichtigste und Naturbelassenste, was die Musik zu bieten hat. Neil Foot und seine Kumpanen Kelvin Barr und Ben Conolly, die drei jungen Iren mit dem langen Bandnamen, beherrschen ebendies auf ganz wundersame Art und Weise. Und bieten somit den perfekten Soundtrack, um zum Jahreswechsel und nach dem ganzen Trubel der familiären Zeit der Liebe mal runterzukommen und ein bisschen Eigene-Mitte-Findung zu betreiben.
Bekannt sein sollte den Meisten unter uns bereits ihr Song Never aus dem Werbespot des Reiseportals Trivago. „It’s gotta be this one, i know it. Yes I know it is“. Statt Hotels in Venedig dreht sich hier jedoch alles um die großen Gefühle. Da klingt’s verdächtig nach Jugendliebe. Zu Neil Foots Vocals möchte man gerne mit dem Freund aus der zwölften Klasse auf dem Rad an sommerlichen Feldern vorbeifahren und im Heuballen knutschen. Und zwar so mit Haarsträhne aus der Stirn streichen und Gesicht in der Hand halten. All the luck in the World lassen auf ihrem gleichnamigen Debütalbum alles raus über die Beziehung. Zu Anfang schnell, aufregend, leidenschaftlich. Die herzzerreißend anfängt und auch wieder endet, nur mit jeweils anderem Vorzeichen.
Ausgemacht wird die Musik von der reduzierten Vortragsweise, mit der Neil Foot den Hörer fast alleine durch seine Geschichten trägt. Drums, elektrische Gitarre, manchmal auch einige Bläser sorgen gegen Refrain für das nötige treibende Moment und Drängen, scheinen jedoch immer nebensächlich. Dadurch entsteht diese intime Stimmung, die herrlich irisch-hinterwäldlerisch wirkt. Bei der positiven Diskriminierung von Iren bin ich sowieso vorne mit dabei: Damien Rice und Lisa Hannigan, Glen Hansard, auch Bono darf hier nicht fehlen, das sind Leute, deren traurig-gewaltige Stimmen einen einfach weghauen mit dem ganzen Gefühl, wie es sonst vielleicht noch Folker à la Dallas Green und Marcus Mumford vermögen. Woran das liegen mag? Die Iren, dieses kleine rothaarige Volk, musste schon jede Menge Hiebe und Scheiße ertragen. So lapidare Dinge wie die Kartoffelfäule hätten sie fast aussterben lassen. Die Leidenschaft und die Leiden, die diese schaffen, die Unterdrückung und das Gezanke mit den Brüdern aus dem Norden, hört man (oder nur ich?) in ihren Stimmen irgendwie mehr als anderswo. Und mir treibt‘s Tränen in die Augen, endlich endlich gibt es statt Fremdschämen mal Fremdtrauern und -Lieben und -Freuen – und ich fühl‘ mich katharsisch gereinigt nach dieser kleinen musikalischen Zeitreise zurück in die Teenagerzeit.
Schön gesagt bleiben die Jungs über das Album ihrem Stil treu und ziehen die ruhige Schiene ziemlich konsequent durch. Man könnte jetzt natürlich auch so weit gehen und behaupten, die könnten mit ihren 19 Jahren einfach nicht mehr, als das, was man hört. Nach Sichtung von Inside Llewyn Davis letzte Woche weiß ich aber besser als diese Kontinuität zu kritisieren. Denn:
„It’s never new and it never get’s old. It’s a Folk song.“ Amen.
Anspieltipps:
- Never
- Your Fires
- Away
Entschuldigt sich, den weihnachtlichen Zuckerschock verantwortlich machend, für die ganze Gefühlsduselei: Vera Jakubeit
Never von All the Luck in the World