Band: Hjaltalín
Album: Sleepdrunk Seasons
Mitglieder: Axel (Schlagzeug), Guðmundur Óskar (Bass), Hjörtur Ingvi (Keyboard), Högni (Gesang/Gitarre), Rebekka Bryndís (Fagott), Sigga (Gesang), Viktor (Violine)
Herkunft: Reykjavik, Island
Klingt wie: „So klängen Arcade Fire, hätten sie ihren Wohnsitz in Island […]“ sagt der Pressetext. Schluss mit den ewigen Vergleichen, selber hören! Sage ich.
In Zeiten der Finanzkrise über isländische Musik zu schreiben, impliziert irgendwie die Verwendung depressiver Sätze zur Depression, wie den folgenden:
Island geht es schlecht. Finanzkrise, Staatsbankrott, das System droht zusammen zu brechen. Fatal wohl auch die Konsequenzen für die Musikszene: heimische Bands können sich kaum mehr Auslandstourneen leisten, im Ausland produzierte Platten bleiben ebendort hängen…
Eigentlich die beste Voraussetzung für musikalische Schwermut, könnte man meinen.
Hjaltalín aber blasen keinen Trübsal, sondern fiedeln Frohsinn. Das sieben - bis neunköpfige Musikerkollektiv aus Reykjavik (auch ausgiebigste Recherchen gaben nicht über die sichere Mitgliederanzahl Auskunft!) veröffentlicht mit „Sleepdrunk Seasons“ ein regelrecht euphorisches Debütalbum, randvoll mit melodieverliebten, verspielten Orchesterpopsongs. Den schwermütigen Soundtrack zum vermeintlichen Untergang Islands suche man deshalb lieber woanders.
Das mag natürlich daran liegen, dass das Album bereits vor gut zwei Jahren in der damals eher krisenfreien Heimat erschien und dort mit Lob, gar Auszeichnungen gepriesen wurde.
Kein Wunder: Allein das Sammelsurium an Instrumenten mit denen Hjaltalín (ausgiebigste Recherche ergab Auskunft über folgende Aussprache „Jaltalien“) antreten verspricht Großorchestrales. Neben dem Üblichen (das Übliche: Gitarre/Schlagzeug/Bass/vielleicht auch Piano) verzieren Hörner, Trompete, Banjo, Streicher, Klarinetten, Akkordeon sowie ein für konventionelle Popmusik doch eher behäbiges Instrument wie das Fagott die Songs zu kunstvollen kleinen Kompositionen Hinzu kommt der außergewöhnliche Gesang, mal in isländischer Sprache, meistens aber auf Englisch, der geprägt ist vom eigenwilligen Timbre des Sängers Högni in Kombination mit der zarten Stimme von Sangesgenossin Sigga.
Mit einer eher zurückhaltenden Fanfare kündigt sich das außergewöhnliche Pop-Orchester an, bevor es sich der Aufführung überschwänglicher, üppig arrangierter Lieder hingibt, die spielerisch mit den gewöhnlichen Songstrukturen brechen, was dem Ganzen einen charmanten Hauch Verschrobenheit verleiht.
Viele Songs beginnen dezent zurückhaltend mit folkigem Geklimper, das zunächst ziellos erscheint, gipfeln jedoch in ausholenden Refrains, in denen jedes Instrument, jedes musikalische Element wohl platziert scheint. Auf diese Art und Weise fabriziert die isländische Kapelle kleine musikalische Pop-Epen zwischen Klassik und experimentellem Folk.
„Goodbye July/Margt Ad Ugga“ nennt sich eines davon und vereint all das, was die Musik der Isländer ausmacht. Gut dosierte Bläsersätze im instrumentalen Wirrwarr, wunderbar melodiöse Momente und gerade wenn der Refrain zu überschlagen droht, der Bruch - ein (isländischer) Song im Song, getragen, vorgetragen von Sängerin Sigga. Ganz kurz nur, bevor die komplette Besetzung wuchtig wieder einsetzt.
Zwar sind die Songs von Hjaltalín euphorisch ausladend, dennoch nie überladen. Pompöse Chöre, zaghaftes Geklimper, ein bunt schillerndes Spektrum an verwendeten Instrumenten – alles fügt sich homogen ineinander. So entstehen frühlingshafte, farbenfrohe Indie/Folk – Popsongs, gesegnet mit guten Momenten und detailverliebten Arrangements.
In Zeiten der Finanzkrise über isländische Musik zu schreiben, impliziert im Fall von Hjaltalín die Verwendung abgedroschener Sätze wie den folgenden: Hier herrscht Aufbruchstimmung. Der Ausweg aus der Krise.
Anspieltipps:
- Goodbye July/Margt Ad Ugga
- Þú Komst Við Hjartað Í Mér
- Traffic Music
- Trailer Music
- Debussy
Surf-Tipps:
MySpace - Romantik:
http://www.myspace.com/hjaltalinband
Himmlische Halbbildung:
http://www.arte.tv/de/Kultur-entdecken/2495604.html
Sucht den Ausweg aus Schreibkrise und Kreativbankrott – muss wohl Musikerkollektiv beitreten: Johanna Eisner
euphorisch? der Beitrag!