Album: In Heaven
Band: Twin Sister
Herkunft: Long Island Ice TeaMitglieder: Andrea Estella (singt), Eric Cardona (singt auch, spielt aber auch Gitarre), Gabe D’Amico (Bass), Dev Gupta (Tastenschwein), Bryan Ujueta (Das Tier)
klingt wie: himmelblaue Farbtupfer im Herbstgrau
Pop ist ein Geschenk des Himmels! Doch viele wissen das nicht und rümpfen umgehend angewidert die harte Techno/Rock-Nase, sobald sie mit der Buchstabenkombination P, O und P konfrontiert werden. Denn schließlich sind graue Regenwolken oder düstere Gewitterfronten weitaus inspirierender, wenn es um die komplizierte Konstruktion stimmungsregulierender Klänge geht. Weltuntergang! Regenmusik! Deeper Tiefsinn und so.
Der Himmel über den Köpfen von Twin Sister jedoch erstrahlt stets im schönsten Vintage-Blau. Hier schweben Zuckerwattewolken statt grauer Schlechtwetterfronten – hier tanzt Leichtfüßigkeit statt Schwergang.
Die Musik von Twin Sister mag beim ersten Hinhören ein bisschen nach rosafarbenen Nagellack klingen. „Süßer Mädchenkram“ könnte der Regenwolkenliebhaber jetzt hier verächtlich spucken, doch die hohen Erwartungshaltungen die von hippen virtuellen Musikkritikern an das Debüt-Album der überraschenderweise überwiegend männlichen Band gestellt werden, kommen nicht von irgendwo her. „Colour Your Life“ (bitte keine Sat1-Assoziationen) und „Vampires with Dreaming Kids“ hießen die beiden Eps, die im vergangenen Jahr in den WWWeiten einer chillwave-affinen Blogosphäre für Aufsehen sorgten und die Band aus Long Island zu einer der größten geheimen Hoffnungen für 2011 avancieren ließen.
Twin Sister malen ihr Bild von der Popmusik mit großen bunten Aquarelltupfern. Federleicht, verträumt und zeitlos. Irgendwo zwischen dem Dauerbrenner Dreampop und dem Immer-Noch-Hit Chillwave changierend, erinnert ihre Musik am ehesten an eine auditive Reinkarnation der Cocteau Twins, vielleicht aber auch ein bisschen an eine Jahrmarkt-Version vom Beach House. Tragende Synthieflächen schlagen warme Wellen, die Beats blubbern in bunten Popseifenblasen – alles wirkt wie durch eine rosarot-sepiafarbene Brille betrachtet: einfach, unbeschwert und schön. Mit fast schon kindlicher Naivität wird hier enthusiastischer Bubble-Gum-Pop gebastelt.
Doch Vorsicht! Dieser klebrige Kaugummi ist nur für Erwachsene genießbar, denn hinter den zarten Popkonstrukten verbergen sich getreu dem Motto „I want it bad“ bitterböse Lyrics und abstrakte Fantasien mit Hang zur Perversion. So wird eine Kimmi im Reisfeld von ihrer Schwester bei lebendigem Leibe verspeist – Kannibalismus verpackt in ein zuckersüßes Klanggewand, ganz im Sinne der Brechtschen Verfremdung. Abgesehen von derartigen Alpträumen kommt „In Heaven“ zumindest musikalisch ganz harmlos daher, verzichtet weitestgehend auf Experimentelles, besticht mit Vintage-Feeling, Eingängigkeit und heimlichen Hits für die etwas ambitioniertere Indie-Disco (Bad Street). Ein floral gemustertes Gesamtpakt, vom Fachexperte auch gern als Grower bezeichnet, das sowohl süß als auch skurril und wunderschön schrullig zu gleich ist. Ein Geschenk des Himmels! (Und der Hölle)
Anspielen:
Daniel
Kimmi in a Ricefield
Stop
Bad Street
I want it bad: Johanna Eisner
Bandeigenes Blog:
Die Eps auf Bandcamp:
http://twinsister.bandcamp.com/